Okay vor Gott
Wie kann ich meinen Klienten Liebe und Annahme vermitteln, wenn sie in der Beratung Angst vor Gott, Schuld-, Unzulänglichkeits- und Minderwertigkeitsgefühle äußern? Und wie reagiere ich selbst auf die Nöte, auf die oft chaotische Welt meiner Klienten und auf meine eigenen Schwächen, die ich angesichts dessen wahrnehme? Wie kann da der Zuspruch Gottes bei mir und meinem Gegenüber ankommen, seine Zusage „Du bist okay. Du bist gerechtfertigt vor mir.”
Diese zentrale Frage hat uns bei IGNIS von Anfang an beschäftigt und es war uns wichtig, das Geschenk der Rechtfertigung zu verstehen und Hilfen zu finden, wie die uns von Gott geschenkte Gerechtigkeit in unserem Leben auch zum Tragen kommt und wie wir unsere Ratsuchenden als gerecht behandeln können.
Im >>> Podcast vom November 2024 spricht Friedemann Alsdorf über diese Fragen; hier können Sie eine kurze Zusammenfassung lesen.
Gott ist für uns
Paulus schreibt im Römerbrief (Röm. 8:31 ff): „Gott ist für uns; wer kann uns da noch etwas anhaben? Er hat ja nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont, sondern hat ihn für uns alle hergegeben. Wird uns dann zusammen mit seinem Sohn nicht auch alles andere geschenkt werden? …“
Die Botschaften von Paulus in diesem kurzen Abschnitt gelten für jeden von uns:
- Niemand kann mir etwas anhaben.
- Gott hat Jesus für mich hergegeben.
- Er hat mir mit ihm alles geschenkt (Königskindschaft, Annahme, Vergebung, …).
- Niemand kann Anklage gegen mich erheben.
- Gott ist hier und macht mich gerecht.
- Jesus ist hier und tritt für mich ein.
- Nichts und niemand kann mich trennen von der Liebe Christi.
Ankommen werden diese Botschaften bei allen, die dieses Geschenk im Glauben annehmen. Wenn ich (mithilfe des Hl. Geistes) erkenne: „Gott verurteilt mich zu Recht; ich schaffe es gar nicht, so zu leben, wie ER es sich für mich gedacht hat“, dann öffne ich mich im Glauben und Vertrauen für die unverdiente Gerechtigkeit, die Gott mir in Jesus Christus schenkt. Der Glaube ist dabei keine Leistung, sondern eine Haltung des Empfangens.
Rechtfertigung ist in erster Linie ein Lebensvorgang und erst dann eine Lehre. Man kann über sie nicht verfügen wie über sonstiges Wissen. Nicht eine historische Tat, sondern Christus für uns ist die Mitte dieser Botschaft!
Die von Gott geschenkte Gerechtigkeit widerspricht dem eher üblichen weltlichen Miteinander: „Wenn Du dies oder jenes tust oder nicht tust, bist Du mehr geliebt.“ Gott liebt uns, da gibt es einen tieferen Grund als unser Verhalten:
- Ich kenne keinen Augenblick, wo ich mir sicher sein kann, den Ansprüchen Gottes durch mein Verhalten vollkommen zu genügen!
- Ich kenne keinen Augenblick, wo ich mir nicht sicher sein kann, den Ansprüchen Gottes durch Jesus vollkommen zu genügen!
Überlege einmal, wie weit du das im Herzen glauben kannst!
Wie geht es mir: Anklage oder Überführung?
In Christus sind wir frei von Anklage (Röm. 8:33) und frei von einem schlechten Gewissen (Hebr. 9:14)! Sollen wir nun dabei stehen bleiben, dass wir gerecht sind und jedes eigene Fehlverhalten verdrängen? Nein, denn die Wahrheit macht frei, sie lässt uns Gottes Gnade tiefer erfassen und gibt uns die Möglichkeit, alte Verhaltensweisen zu überwinden. Wir sind befreit zu einem guten Gewissen durch das Blut Christi. Nicht das Gewissen, das durchaus fehlgeformt sein kann, diktiert uns, wo wir schief liegen („Anklage“), sondern der Heilige Geist zeigt uns, wo wir Gott betrüben („Überführung“).
Wie kann man diese beiden Prozesse voneinander unterscheiden?
Anklage (durch den ‚Verkläger der Brüder‘): „Sündige nicht, damit du heilig bist …“
Diese Anklage bewirkt Angst, Verdammnis, Schuldgefühle, Trennung von Gott: Sie zeigt mir die Gesetzesübertretung, ich kann mit Selbstablehnung reagieren oder auch mit Selbstgerechtigkeit (so schlecht bin ich gar nicht, fast habe ich es geschafft).
Überführung (durch den Heiligen Geist): „Weil du heilig bist und geliebt, …“
Überführung bewirkt Traurigkeit und Reue. Sie zeigt mir die Beziehungsstörung, aber birgt in sich die Vorfreude auf die Vergebung und ich bleibe in der Gemeinschaft mit Gott.
Wir sind frei vom Gesetz, aber brauchen Orientierung.
Wir sind mit dem neuen Bund in Christus frei vom Gesetz. Paulus macht die Tür ganz weit auf: „Alles ist mir erlaubt!“ (1. Kor.6:12) Diese Weite ist viel größer, als wir uns das vorstellen können. Aber was mache ich mit der Freiheit, die ich nun habe? Woran orientiere ich mich in meinem Leben und Handeln? Um ein Bild zu gebrauchen: Orientiere ich mich beim Fahren auf der Autobahn an den Leitplanken, die ich nicht touchieren möchte („was darf ich noch, ohne einen Unfall zu bauen?“) oder am Mittelstreifen, der mir hilft, die Richtung auf mein Ziel hin beizubehalten („was baut auf?“)
Die Leitplankenorientierung fragt: “Darf ich?” und orientiert sich an Grenzen und Verboten: Alles, was Gott nicht ausdrücklich verbietet, ist erlaubt. Die Angst dahinter: Könnte Gott mir etwas vorenthalten, wenn ich es mir nicht selbst nehme? (Eden!) Mein Ziel ist, meine Gerechtigkeit zu bewahren und alles, was ich bekommen kann, auch zu bekommen.
Die Mittelstreifenorientierung fragt: “Baut es auf? und orientiert sich an Auftrag und Segen: Alles, was Gott ausdrücklich gebietet, sollte getan werden. Die Haltung dahinter ist Vertrauen: Nichts nehmen, was Gott mir (jetzt) nicht gibt. Mein Ziel ist, bei Gott sein zu wollen, Seine Liebe aufzunehmen und andere zu lieben.
Es geht also weniger um das Halten von Geboten und viel mehr um die Gemeinschaft mit Jesus! Das ist die Funktion des Gewissens im Neuen Bund: uns immer mehr in die Gemeinschaft mit Jesus hineinzuziehen.
Rechtfertigung und die Begegnung mit Ratsuchenden
Was bedeutet nun dieses Geschenk der Rechtfertigung für die Haltung unseren Ratsuchenden gegenüber?
Der Anfang liegt bei jedem selbst: Ich selbst brauche und ergreife das Geschenk der Gerechtigkeit und lebe auf dieser Basis.
Daraus folgt dann meine Haltung. Ich entwickle Wertschätzung für meine Klienten.
Und wenn ich auf Berichte oder Verhaltensweisen des Klienten hin Verurteilungsimpulse in mir spüre, bin ich wachsam:
- ich höre besonders intensiv zu und stelle offene Nachfragen, um das Verhalten des Klienten wirklich zu verstehen.
- ich frage mich, wie weit ich Verhaltensweisen, die der andere berichtet, bei mir selbst ablehne und nicht sehen will („Projektion“).
- ich spreche (laut oder leise) uns beiden bewusst das Geschenk der Gerechtigkeit zu.
Ich verliere nie Glaube, Liebe und Hoffnung, denn
- Gott hat dem Klienten bereits sein „Okay!“ zugesprochen. Niemand darf ihn länger verurteilen.
- Gott hat alle Möglichkeiten, den Klienten aus seiner jetzigen Lage herauszuführen. Darum versuche ich immer wieder neu, die Sicht Gottes für den Klienten zu gewinnen.
Fazit: Leben in der Gerechtigkeit ist …
- das Ende von Verdammnis, Selbstablehnung, Selbstüberforderung und Selbstbestrafung, das Ende der Angst vor Fehlern oder einem sich unwürdig oder minderwertig Fühlen vor Gott.
- der Anfang eines neuen Selbstbildes: Ich bin wertvoll, geliebt, angenommen, geborgen und habe jederzeit Zugang zu Gott. Gott liegt etwas an mir. Er interessiert sich für mich. Er möchte eine persönliche, lebendige Beziehung zu mir haben.
Wir kommen zu Gott und sagen: “Wie wunderbar, dass Du mich angenommen hast, dass Du Dich über mich freust und mir Dein „okay“ zusprichst, weil Du mich in Jesus siehst!“ Dann können wir lieben, weil wir selbst geliebt sind.
Friedemann Alsdorf (November 2024)