Das Gericht Gottes – ein Thema für heute? Ein Thema für christliche Psychologie?
Das Gericht Gottes – wie geht es Ihnen bei diesem Thema? Unbeliebt, tabu, verdrängt oder täglich vor Augen?
In letzter Zeit waren die Covidpandemie und der Krieg in der Ukraine Anlass, das Thema häufiger aufzugreifen. Oft mit extremen, widersprüchlichen Aussagen. Die einen meinten, ausdrücklich betonen zu müssen, all das habe nichts mit einem Gericht Gottes zu tun, während andere genau vor diesem Gericht warnten, die Impfkampagne als Zeichen mangelnden Gottvertrauens oder Putin als Vollstrecker von Gottes Gericht am gottlosen Westen sahen.
Wolfram Soldan sagt: „Mich ärgern die Extrempositionierungen, bei denen ich Hintergrundmotive spüre, die mir mehr auf eine Mischung aus Ängsten und Überheblichkeit hinzuweisen scheinen, als auf eine gründliche Auseinandersetzung mit dem biblischen Befund.“
Lesen Sie hier im Blog weiter oder hören Sie im >>> Podcast, wie er sich mit den biblischen Aussagen und dem Umgang mit möglichen Ängsten auseinandersetzt, christlich, psychologisch.
Gericht Gottes – ein Blick in die Bibel ohne Berührungsängste
Beim richtenden Gott denken viele vor allem an apokalyptische Bilder mit Feuer, Tod und Hölle oder an Erzählungen aus dem Alten Testament, wo Gott ganze Völker vernichtet. Doch dies deckt nur einen sehr kleinen Teil der Bibelstellen zum Thema Gericht ab.
Der wichtigste Begriff für „Gericht“ im Alten Testament, mischpath, kommt über 400mal vor. Nur an ca. 20% der Stellen passt die Übersetzung Gericht am besten (so das Verhältnis in der Elberfelder-ÜS), im Kontext von drastischem, tödlichem Gottesgericht sind es nur ca. 12 Stellen, die sich meistens gegen das auserwählte Gottesvolk selber richten. Das Bild, das oft gemalt wird, dass hier ein primitiver alttestamentlicher Stammesgott sich an den Feinden seines Stammes rächt, könnte nicht weiter vom Gesamtbefund des AT entfernt sein.
mischpath: Aufrichten des Rechts, des rechten Zustandes, der Ordnung, der Gerechtigkeit
Das Wurzelwort von mischpath ist schaphat (wahrscheinlich mit unserem Begriff „Schöffe“ verwandt) und bedeutet wörtlich das „Aufrichten“ und zwar an den meisten Stellen das Aufrichten des Rechts, des rechten Zustandes, der Ordnung, der Gerechtigkeit usw. Die häufigste Übersetzung von mischpath ist deshalb „das Recht“ oder „die Rechte“ (in Elberfelder ca. 250 von 400mal).
Will man die Hauptbedeutung von mischpath für heutige Ohren zum Klingen bringen, kann man z.B. das Wort „Korrektur“ nehmen oder „in Ordnung bringen“ bzw. „Wiederherstellen einer guten Ordnung“ (in einer etwas exotischen Übersetzung fand ich den Kunstbegriff: „Richtigung“ für mischpath und „richtigen“ für schaphat). Erstaunlich oft finden wir in Bibelstellen zur Erklärung, was konkret mit mischpath/schaphat gemeint ist, Vokabeln wie helfen, heilen, retten, umkehren oder erkennen.
Gericht als Korrekturimpuls
Beim Gericht Gottes ging es demnach zuerst einmal um Korrekturimpulse Gottes, mit denen er seine Menschen aufwecken und ihnen wieder zum Erkennen seiner guten Ordnung verhelfen möchte, so dass sie von Abwegen zurück zu guten Wegen finden.
Selbst Stellen, die bedrohlich vernichtend klingen, enden oft unverhofft mit einem „Happy End“, wie beispielsweise im dritten Kapitel bei Zephania mit den Versen 8 und 9 (nach Lu 2016): Vers 8: „Darum wartet auf mich, spricht der HERR, bis auf den Tag, an dem ich als Kläger auftrete; denn mein Recht (mischpath) ist es, Völker zu versammeln und Königreiche zusammenzubringen, um meinen Zorn über sie auszuschütten, ja, alle Glut meines Grimmes; denn alle Welt soll durch meines Eifers Feuer verzehrt werden.“ Nach Zorn und Vernichtung lesen wir weiter in Vers 9 dieses Versprechen: „Dann aber will ich den Völkern reine Lippen geben, dass sie alle des HERRN Namen anrufen und ihm einträchtig dienen.“
Korrekturimpulse für uns
Kommen wir mit diesem Verständnis von Gericht zurück zu unseren aktuellen Fragen, dann lässt sich nicht leugnen, dass wir z.B. in der Covidpandemie viele gefühlte Sicherheiten verloren haben und damit angeregt werden, wieder nach dem zu fragen, was wirklich sicher ist, oder besser nach demjenigen, der wirkliche Sicherheit schenken kann. Das wird durch den schrecklichen Krieg noch extremer: Wir müssen neu fragen, was wirklich wichtig und was weniger ist und wer uns in dieser unübersichtlichen und hilflosen Situation Kraft und Weisheit geben kann, damit wir es nicht noch schlimmer machen (indem wir uns z.B. in Hass- und Lügeneskalationen hineinziehen lassen).
Wenn gerade wir Christen uns auf den ewigen Weg besinnen, der an Gottes Hand auf Wahrheit, Liebe und Vergebung setzt, dann hätte eine gute Korrektur stattgefunden.
Zu behaupten, die Pandemie oder gar der Krieg seien als solche ein Gericht Gottes, halte ich für sehr fragwürdig und zumindest für maximal missverständlich und damit für absolut nicht empfehlenswert. Aber dass Gott, warum auch immer er dies alles zugelassen hat, in der Pandemie und im Krieg uns Menschen wichtige Korrekturimpulse nahebringt, damit wir unser Leben wieder neu ausrichten auf IHN, das leuchtet mir ein. Die Erschütterungen, die wir gerade erleben, enthalten in sich somit also Gerichte oder Korrekturimpulse Gottes für uns.
Beispiel: Ein Korrekturimpuls Gottes im Alten Testament
In der hier gebotenen Kürze greife ich den Propheten Hosea heraus: Das ganze Buch Hosea ist ein leidenschaftliches Ringen Gottes und SEINES Propheten, das auf massive Abwege geratene Volk Israel wieder auf den guten Weg zurückzubringen. Alle Register vom Liebeswerben bis zur scharfen Gerichtsbotschaft werden gezogen: Als Folge der Götzenbündnisse „wird das Gericht – mischpath – sprossen wie Giftkraut“ (10,4 Elb) oder „Darum schlug ich drein durch die Propheten und tötete sie durch die Worte meines Mundes, dass mein Recht – mischpath – wie das Licht hervorkomme.“ (6,5 Lu2017).
Das durchgängige Ziel ist die Wiederherstellung der ungetrübten Liebesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk:
- „Ich will dich mir verloben auf ewig, ich will dich mir verloben in Gerechtigkeit und Recht – mischpath –, in Gnade und Barmherzigkeit. Ich will dich mir verloben in Treue, und du wirst den HERRN erkennen. “ (2,21f Lu2017).
- „Ich aber hatte Ephraim – ein Name für das Nordreich Israel – laufen gelehrt und sie auf meine Arme genommen. Aber sie merkten nicht, dass ich sie heilte.“ (11,3 Lu2017)
- „Du wirst mit deinem Gott zurückkehren. Halte fest an Liebe und Recht – mischpath – und hoffe stets auf deinen Gott!“ (12,7 Lu2017).
Am Ende (in den vorletzten Versen des Buches) kehrt Israel wieder heim in den Schatten seines Gottes und blüht wieder auf. Im allerletzten Vers von Hosea (14,10) werden wir noch einmal eindringlich erinnert, dass es unsere Entscheidung ist, wie wir auf die Korrekturimpulse Gottes reagieren (hier wiedergegeben nach Buber): „Wer weise ist, unterscheide dies, (wer) gescheit (ist), erkenne es: daß gerade sind SEINE– Gottes – Wege, – die Bewährten gehen darauf, die Abtrünnigen straucheln darauf.“
Eine positive Haltung im Blick auf das Gericht Gottes
In Psalm 119, dem langen Lobpreis auf das Wort Gottes, finden wir mindestens zwölf Synonyme für dieses Wort Gottes. Eines davon ist mischpath, das 21mal vorkommt. An einer Stelle fürchtet der Beter das Gericht Gottes und bringt diese Reaktion ehrlich zum Ausdruck. An allen anderen Stellen sehnt er sich danach, will die Korrekturen Gottes lernen, ist dankbar dafür, lobt sie, weil sie gerecht sind und ihn beleben, und setzt sie deshalb auch in seinem Leben um. Das Gericht Gottes – seine liebevolle Korrektur – ist hier etwas Wertvolles, das zuerst mir selbst gilt und durch das ich gesund wachsen kann.
Hindernisse, das Gericht Gottes so positiv zu sehen
Vielen von uns fällt diese positive Haltung schwer. Wir sind beeinflusst von einem gängigen, aber unrealistischen Menschenbild: Der Mensch als autonome Person, die idealerweise völlig frei und individuell über ihr Leben entscheidet, der niemand hineinzureden hat, schon gar nicht Gott.
Mit unseren selbstgemachten Lebensvorstellungen überfordern wir uns jedoch oft genug. Weil es „da draußen“ nichts Verbindliches, Haltgebendes gibt, müssen wir selbst die Bilder und Strukturen schaffen, die uns Halt geben, und sie permanent an neue Gegebenheiten anpassen. Gott als Richter macht uns dann doppelt Angst: Erstens weil da jemand ist, der unseren mühsam selbstgeschaffenen Halt infrage stellen könnte und wir dann Angst haben, Halt und Kontrolle zu verlieren. Zweitens weil wir keine positive Idee im Herzen haben von dem, wohin uns das Gericht (die Korrektur) Gottes führen kann; dann bleibt nur die Angst vor Strafe, die wir als stolze Menschen weder verstehen noch akzeptieren können.
Zu solchem Stolz neigen nicht nur die „Heiden“ oder „Liberalen“, die stolz auf ihre Autonomie sind, sondern oft auch „fromme“ Christen, die stolz auf ihre Rechtgläubigkeit sind. Beide Gruppen schauen dann auf die jeweils andere herab oder hassen sie sogar (vgl. einschlägige Internetkommentare). Und eigentlich haben beide Angst davor, sich von Gott korrigieren zu lassen. Deshalb weisen die einen („Liberale“) die Vorstellung von Gericht Gottes als veraltet zurück und die „Frommen“ verlagern das Gericht von sich weg auf die gottlosen Anderen.
Die Angst vor der Korrektur verlieren
Es ist in gewissem Sinn normal, Angst zu haben vor Korrekturen, die wir naturgemäß nicht voll im Voraus begreifen, sonst wären sie ja nicht (von außen) nötig.
Um diese Angst muss ich mich bewusst kümmern, mir möglichst einen sicheren Ort suchen, um sie etwas zur Ruhe bringen. Als Christ können das Gebet, das Wort Gottes und darin die Vergewisserung, dass Gottes Korrektur etwas wirklich Gutes für mich sein wird, in diese Beruhigung führen. Wenn dieser direkte Weg nicht möglich ist, können andere beruhigende, haltgebende Beziehungen zu vertrauten Menschen, zur schönen Schöpfung in der Natur, zur Musik, zu meinem Leib (z.B. mit Hilfe von bewusster Atmung oder Entspannungstechniken) oder zu irgendeinem vertrauten Ort, an dem ich mich sicher fühle, eine gewisse Beruhigung unterstützen. Sobald ich etwas zur Ruhe gefunden habe, kann ich meine Situation reflektieren: Vermittelt mir die Angst die richtige Botschaft? Oder hält sie mich eher davon ab, eine für mein Leben hilfreiche und bereichernde Umkehrhilfe zu akzeptieren und zu nutzen, die Gott in den Umständen versteckt hat?
Ich persönlich
habe zum Beispiel (etwas verspätet) bemerkt, wie mir die zunehmenden Unsicherheiten und Unplanbarkeiten und die emotionalen, unsachlichen, polarisierenden Diskussionen im Zusammenhang mit der Pandemie eine chronische Unruhe beschert haben, was auch Gewicht und Blutdruck steigen ließ. Ich konnte dies als unterschwellige Angst identifizieren und fing an, noch bewusster und konsequenter meinen Leib (Entspannung) und meine Seele (kontemplatives Gebet und Bibelstudium) vor Gott zur Ruhe zu bringen.
So hat sich mein innerer Halt noch mehr von Arbeit, Leistung und Geld auf Beziehung (zu Gott, mir selbst und auch bewusster zu meiner Familie, …) verlagert. Ich bin überzeugt, das war eine von Gott gewünschte Korrektur, für die ich dankbar bin und die auch noch weitergeht.
Wolfram Soldan, September 2022
Hinweis:
Mehr zum Thema „Umgang mit der Angst“ finden Sie in einem Interview vom April 2020 „Angst ist kein guter Ratgeber. Aber man kann sie dazu machen.“ >>>https://youtu.be/fFWuEHiZshE