Geduld, wenn mein Geduldsfaden reißt…
„Kürzlich bin ich voll ausgeflippt wegen meiner Schwester. Eigentlich will ich das gar nicht?!?!“
Etwas verwirrt kam kürzlich eine Jugendliche in die Beratung. Das Hin und Her, das viele Zuhause-bleiben-Müssen im Lockdown, all das wurde zu viel. Der Geduldsfaden war gerissen.
Hätte der Geduldsfaden halten müssen?
Kritische Situationen lösen starke Gefühle aus. Normalerweise hemmt ein Zusammenspiel verschiedener Mechanismen im Körper entsprechend starke, nicht produktive Reaktionen durch Impulskontrolle („Nein, ich mache das nicht!“), Handlungsbewertungen („Nein, das darf ich nicht!“) oder Situationsauswertungen („Nein, das ist… zum Beispiel gefährlich!“).
Diese Kooperationsfähigkeit kann jedoch nicht greifen:
- wenn der Reiz sehr intensiv ist,
- wenn wir die regulierenden Fähigkeiten, die es zur Hemmung braucht, in unserem Leben nicht entwickelt haben (z.B. ethische Richtlinien nicht verinnerlicht haben),
- wenn die körperlichen Regulationsmöglichkeiten durch traumatische Erfahrungen oder körperliche Beeinträchtigungen eingeschränkt sind (z.B. bei Bluthochdruck, Schädigungen des Gehirns, Schädigungen der Hormon- oder Transmittersekretion).
Heißt das,
dass wir dann intensiven Gefühlen unser Leben lang einfach ausgeliefert sind und der Geduldsfaden eben häufig reißen muss?
Sicher nicht.
Egal, wie stabil und elastisch unser Geduldsfaden bisher war, wir können an unserer „Affektregulation“ aktiv etwas bewirken, indem wir lernen,
- wie wir in der konkreten Situation unseren Körper wahrnehmen und für innere Abläufe achtsam sein können,
- wie wir nach einer intensiven Erfahrung, auch wenn der Geduldsfaden gerissen ist, bewusst wieder im „realen“ Hier und Jetzt ankommen,
- welche neuen Wege der Regulation es gibt und wie wir sie einüben können,
- welche inneren Strukturen uns blockieren,
- welche Fehlinterpretationen erlebter Situationen die Eskalation gefördert haben und wie wir zu angemessenen Interpretationen finden.
Viele Themen. Ein Leben lang Zeit, dazuzulernen.
Mit meiner Ratsuchenden habe ich erst einmal einen ganzen Vorrat an Geduldsfäden zusammengebastelt (sie ist über diese gestalterische Sprache gut anzusprechen), damit sie im Alltag sieht: Geduld kann wachsen. Ich kann viel dazulernen, wie ich mit meinen Gefühlen umgehe. Und: Gott ist dabei und hat Geduld mit mir.
Susanne Krieger
>>> Kurzvorstellung „Ausbildung in Kinder- und Jugendberatung“ (8 Min.)
Susanne Krieger und Katrin Kroll im Gespräch (mit Affektregulation als einem Beispielthema der Ausbildung)