Der reiche Jüngling – was wird wohl aus seiner Begegnung mit Jesus?
Wolfram Soldan lässt ihn das selbst erzählen (nicht nur) nach Mt 19,16ff, Mk10,17ff und Lk18,18ff:
… Ich bin immer noch erschüttert. Ich konnte die letzten drei Tage kaum schlafen.
Eigentlich geht es mir sehr gut. Mein Vater war wohlhabend, angesehen und einflussreich und außerdem fromm. Ich hatte ihn als Vorbild. Und heute bin ich reicher und einflussreicher als er und nehme unseren Glauben sehr ernst. Ich versuche, Gott zu verstehen und zu tun, was er in den überlieferten Schriften von uns fordert und was meine Glaubenslehrer mir dazu beigebacht haben. Seitdem ich sie verstanden habe, halte ich die Gebote Gottes.
Natürlich gibt es mindestens ein Gebot, bei dem kein Mensch das ehrlich von sich behaupten kann: Wer kann behaupten, dass er Gott von ganzem Herzen, mit seinem ganzen Verstand und mit aller seiner Kraft liebt? Niemand! Meine Glaubenslehrer erklärten mir, dass es deshalb wichtig ist, sich ehrlich zu bemühen, Gott zu ehren und zu achten – und zumindest die Gebote einzuhalten, die wir einhalten können.
Dann hat mir ein Freund von einem Wanderprediger erzählt, der so von Gott redet, als sei er ganz auf Du und Du mit IHM – ziemlich unerhört aber auch faszinierend. Er heilt Menschen durch Wunder und predigt das Wort Gottes mit Kraft. Er muss wirklich gut sein, wenn ich glaube, was mein Freund erzählt. Ich will ihn mal kennenlernen.
Und dann stehe ich vor ihm und stelle ihm gleich die alles entscheidende Frage: „Guter Lehrer, was muss ich tun, um ewiges Leben zu besitzen?“ Er antwortet verwirrend: „Niemand ist wirklich gut außer Gott selbst!“
Da merke ich schon, wie zielsicher er mit Worten umgeht. Mir leuchtet ein, dass niemand wirklich gut ist außer Gott. Aber trotzdem, hat das auch was mit meiner Frage zu tun? Naja ich will ja immer gut sein. Dann fährt der Lehrer fort: „Wenn Du ins Leben eingehen willst, so halte fest an den Geboten!“
Das tue ich doch, denke ich, aber wieso wandelt der Lehrer meine Frage so eigenartig um: Statt „Ewiges Leben haben“ sagt er: „Ins Leben eingehen“. Fast so, als sei ich noch gar nicht am Leben und müsste erst noch ins Leben hineinkommen oder geboren werden. Eigenartig. Sicherheitshalber frage ich zurück, welche Gebote er meint. Er zählt dann nur solche auf, die man wirklich einhalten kann, wie „Nicht stehlen, nicht lügen, Eltern ehren oder meinen Nächsten wie mich selbst lieben“. Das Gebot, Gott mit allem in mir vollständig zu lieben, lässt er merkwürdigerweise aus. Deshalb antworte ich sofort: „Ja das habe ich alles eingehalten, seit ich gelernt habe, es zu verstehen.“ Dann rutscht mir aber noch raus: „Was fehlt mir noch?“ Ich spüre, irgendetwas ist da noch, wie er mich ansieht, so intensiv, so persönlich. Und warum lässt er das praktisch unerfüllbare Gebot, Gott rückhaltlos zu lieben, außen vor?
Da schaut er mir noch intensiver, ich kann es nicht anders sagen, liebevoller in die Augen und sagt: „Wenn Du die Vollkommenheit erreichen willst, die Gott Dir zugedacht hat, dann fehlt Dir noch etwas: Verkaufe Deinen Reichtum und gib ihn Bedürftigen. Dann wirst Du stattdessen einen Schatz im Himmel haben. Und komm und folge mir.“
Als ich das höre, kommt in mir etwas ins Rutschen. Er hat den Nagel auf den Kopf getroffen, dass ich mich nach einer Ganzheit oder Vollkommenheit sehne. Als ob er in mein Herz sehen kann. Aber meinen ganzen Reichtum aus der Hand geben? Ich kann doch nicht alles aufgeben, was mein Vater und ich aufgebaut haben.
So gehe ich traurig auf Abstand und höre noch, wie der Lehrer zu seinen Schülern seufzend sagt: „Wie schwer ist es doch für Vermögende, in das Reich Gottes einzugehen!“ Und als ich etwas versteckt weiter lausche, fährt er fort: „Ja leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Reich Gottes.“ Ich bin entsetzt, aber die Schüler offensichtlich auch. Denn sie fragen erschüttert: „Wer kann denn dann überhaupt gerettet werden?“ Der Lehrer antwortet: „Ja das liegt tatsächlich außerhalb menschlicher Möglichkeiten, aber bei Gott ist alles möglich.“
Was für ein Wechselbad der Gefühle: Ganz in die Herrschaft Gottes einzugehen? Ist das nun für mich möglich oder unmöglich? Muss ich dafür alles opfern? Ich bin traurig und verwirrt. Ich brauche erst mal Abstand.
Ich nehme wieder mein gewohntes Leben auf und denke immer weniger an diese Begegnung. Der Lehrer wird dann unter merkwürdigen Umständen hingerichtet. Ich bin ernüchtert. Und wieder etwas später lerne ich Schaul kennen, einen sehr frommen Mann, der mir erzählt, dass es eine neue Sekte gibt, die die Lüge verbreitet, dieser Lehrer sei der Messias und gar nicht tot sondern auferstanden. Es sei eine richtige Seuche, die um sich greife, und er habe es sich zur Aufgabe gemacht, diese religiöse Krankheit mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Ich unterstütze ihn mit einem guten Teil meines Vermögens. Vielleicht bekomme ich so Frieden mit Gott, wenn ich diese gute Sache unterstütze. Ich lasse dann ja wirklich Reichtum los, um armen Irregeleiteten zu helfen.
Ein paar Monate später kommt Schaul mich besuchen und will mir den Großteil des geschenkten Geldes zurückgeben: Er sagt, dass ihm genau dieser Lehrer, dessen Anhänger er bekämpft hat, in einer Vision begegnet ist. Er wurde dadurch blind und durch das Gebet eines dieser Jünger drei Tage später wieder sehend. Der Lehrer sei tatsächlich auferstanden und lebe und herrsche als der verheißene Messias. Er selbst folge jetzt auch diesem Messias und verbreite die gute Nachricht von ihm. Deshalb müsse er mir mein Geld zurückgeben, denn ich hätte es ihm ja für einen ganz anderen Zweck gegeben.
Niemandem würde ich diesen Unsinn glauben. Aber Schaul, der scharfsinnige, hochgebildete und nüchterne Theologe! Ich lasse es mir genauer von ihm erzählen. Er hat offensichtlich Liebe erfahren. Er ist anders. Ja, immer noch klug, scharfsinnig, konsequent; aber da ist auch etwas Weiches; Inniges. Ich weiß, es klingt komisch, etwas, was ich vorher nie an ihm wahrnahm. Eigenartig, es erinnert mich tatsächlich an die liebevollen Augen des Lehrers, wie Er mich angesehen hat.
Ja, und inzwischen bin ich tatsächlich auch zum Nachfolger des Messias geworden wie Schaul.
Und ich kann es selbst kaum glauben, aber auf einmal ist es ganz einfach für mich, meinen Reichtum unter die anderen bedürftigen Jünger zu verteilen. Es ist wie etwas ganz Natürliches. Ich bin derart reich beschenkt, Leben in Fülle, einfach geschenkt, von einem Gott, der mich so liebt, dass er meine Schuld auf sich legt und wegträgt, der das, was ich IHM gegenüber nie erfüllen kann, für mich erfüllt!
Jetzt fange ich an, das mit dem Schatz im Himmel zu begreifen. Ich bin rund, ganz, vollkommen einfach durch IHN in mir, ein Geschenk, das mir niemand rauben kann, weil es im Himmel verortet ist.
Der Meister wusste damals schon, wonach ich mich im Tiefsten sehne und was mir persönlich dabei im Wege steht: Das, was ich habe, und worauf ich mich verlasse. Übrigens war das nicht nur der materielle Reichtum, sondern auch mein Wissen, meine rechtschaffene Frömmigkeit, auf die ich mich verließ. Ich kenne jetzt unter SEINEN Nachfolgern auch andere Reiche, die immer noch wohlhabend sind, aber begriffen haben, dass dies alles nicht wirklich ihnen gehört, sondern Gott; und es kann IHM dienen. Schaul würde dazu sagen: „Haben, als habe man nicht.“
ER – der Meister und Messias – liebt mich und ich IHN. Das fing damals bei der ersten Begegnung an und das raubt mir niemand mehr. Mein Schatz im Himmel! …
Und wie geht es jetzt wohl weiter mit dem „reichen Jüngling“?
Lassen Sie sich von dieser Erzählung einladen, selbst in den Erfahrungsraum dieser oder anderer Personen aus der Bibel hineinzuschlüpfen und dabei ganz persönlich auf Gottes Wort zu hören. Und zu antworten. Denn die Bibel erzählt ja nicht einfach Geschichten, sondern Gott selbst möchte mit uns, mit dir und mir, ins Gespräch kommen.
Wolfram Soldan