Seelsorge: Begleitung auf dem Weg zu geistlich mündigem Leben
Seelsorge hat viele Themen, über die wir miteinander sprechen. Ein wichtiges Ziel dabei ist für uns, Ratsuchende in ihrer Entscheidungsfähigkeit zu fördern, hin zu einer eigenen Mündigkeit – insbesondere auch geistlichen Mündigkeit. Dazu gehören spirituelle Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung.
Spirituelle Handlungsfähigkeit bedeutet, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens, von Kindheit an, lernt, wie er in schwierigen Situationen auf geistliche Ressourcen zurückgreifen kann. Er weiß, wie er zu Gott kommen kann und was ihm hilft, wieder inneren Frieden und Ruhe zu finden.
Diese spirituelle Handlungsfähigkeit kann sich oft nicht ungestört entwickeln. Seelsorge kann heißen, solche Ressourcen neu kennenzulernen und im eigenen Leben anzuwenden.
Spirituelle Selbstbestimmung drückt aus, dass ein Mensch geistliche Entscheidungen selbst trifft und dass niemand ihn zwingen kann, etwas zu glauben oder zu befolgen, wozu er nicht selbst im Herzen Ja sagen kann. (D. Wagner, 2019, S. 48)
Manchmal fällt es uns in der Seelsorge nicht leicht, diese Selbstbestimmung zuzulassen, denn nicht jede Entscheidung der Menschen, die wir begleiten, entspricht unserem Eindruck, was für sie gerade gut wäre. Doch wenn wir nicht achtsam sind, können wir durch unsere (gut gemeinte) Entscheidungslenkung wichtige aktuelle und längerfristige Entwicklungsschritte verhindern.
Geistlicher Missbrauch bahnt sich an, wenn wir einem Menschen seine eigene spirituelle Selbstbestimmung (nach und nach) absprechen und seine Handlungsfähigkeit einschränken.
Menschen, die von ihrer eigenen geistlichen Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung nicht überzeugt sind, sind anfällig für Missbrauchssituationen. In einem Wechselspiel aus passiver Ergebung und dominanter Vereinnahmung, aus Selbstaufgabe und Manipulation können Führungspersonen zunehmend Macht gewinnen, Schritte vorzugeben, die dieser Mensch zu tun hat, und geistliche Entscheidungen für ihn zu treffen, die eigentlich nur seinem eigenen Gewissen unterstehen. Es entsteht eine Abhängigkeit von dominanten geistlichen Führungspersonen.
Deshalb gilt in der Seelsorge: Wir bestärken Menschen, ihren eigenen Weg zu finden. Wir treffen keine Entscheidungen für sie. An erster Stelle soll stehen, dass sie selbst lernen, auf Gottes Stimme in ihrem Leben zu hören. Geistliche Angebote, die der Ratsuchende ablehnt, werden nicht aufgezwungen. Niemand wird überredet oder mit geistlichem Druck manipuliert. Ein Nein des Ratsuchenden wird respektiert – es kann gefeiert werden, weil es seine Selbstbestimmung und seinen freien Willen zum Ausdruck bringt.
Monika Heß, September 2023
Literatur: Doris Wagner (2019). Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Herder Verlag
Zwei Podcasts zum Thema:
- Monika Heß (Juni 2023): „Erfahrungsraum Gottesbeziehung im Beratungs- und Seelsorgegespräch“
- Andreas Feldrapp (Juli 2023): „Seelsorge und der IGNIS-Kurs Seelsorge“