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Leben wir auf demselben Planeten? Glauben wir an denselben Gott?

Wie wir konstruktiv mit Verschwörungserzählungen von Mitchristen umgehen können

Manchmal werden wir in Begegnungen und Gesprächen mit Sichtweisen konfrontiert, die so weit von unseren eigenen abweichen, dass wir uns fragen: Leben wir eigentlich auf demselben Planeten? Und wenn wir und unser Gegenüber Christen sind und diese ganz andere Sichtweise auch noch geistlich begründet wird, kann die Frage aufkommen: Glauben wir an denselben Gott?

Es gibt viele Gründe für konträre Standpunkte; ein Nährboden sind die sogenannten Verschwörungstheorien. Immer wieder müssen wir schmerzhaft erleben, dass sehr konträre Ansichten unsere Gemeinden, Familien und Ehen spalten.

Was kann ich tun, wenn mir im Gespräch von weltweiten Verschwörungen und geheimen Aktivitäten erzählt wird, die uns bedrohen? Spontan möchte ich vielleicht abblocken – doch wenn wir zum Gegenüber eine vertrauensvolle Beziehung haben, gibt es auch eine Chance, gesunde Informationen hineinzugeben. Welche Haltungen und Herangehensweisen wären dafür hilfreich?.

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Worum es bei Verschwörungstheorien geht – ein paar Klarstellungen

Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien sind zahlreich und in ihren Inhalten oft sehr unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen aber der Denkansatz, , dass viele oder fast alle wichtigen Ereignisse miteinander im Zusammenhang stehen und von Gruppen von Personen gesteuert werden, die alles im Geheimen kontrollieren.

Meist wird die Welt in Gut und Böse polarisiert, in „Wir“ gegen „Sie“. Verschwörungstheorien sehen sich i.d.R. als Gegenerzählung zur herrschenden Meinung. Im Gegensatz zu den modernen Sozialwissenschaften, die die Bedeutung von Zufällen, unbeabsichtigten Folgen und strukturellen Effekten betonen, behaupten Verschwörungstheorien, dass Ereignisse in aller Regel Resultate eines absichtsvollen Handelns seien. (COMPACT, 2020:4). Der Begriff wurde erstmalig vom Wissenschaftstheoretiker Karl Popper (kurz nach dem 2. Weltkrieg) benutzt.

Verschwörungsmentalität oder Verschwörungsglaube
Dies ist der psychologische Begriff und meint die individuelle Tendenz, die Welt als Ort voller Verschwörungen wahrzunehmen und auch in zufälligen Ereignissen Verknüpfungen zu suchen.

Verschwörungstheorien und Fake News
Verschwörungstheorien sind nicht gleichzusetzen mit Fake News. Denn nicht alle Fake News behaupten, dass eine Verschwörung zugange ist. Und wer Fake News verfasst, tut dies absichtlich, um Verwirrung zu stiften, Empfänger zu mobilisieren oder „Gegner“ zu verleumden. Hingegen glaubt die große Mehrheit derjenigen, die Verschwörungstheorien artikulieren, tatsächlich an das, was sie sagen, und ist überzeugt, dass sie dazu beitragen, die Wahrheit aufzudecken (COMPACT, 2020:5).

Echte Verschwörungen – Verschwörungstheorien
Zweifellos gibt es echte Verschwörungen (NSA-Spionage, geplante Staatsstreiche, Attentate, Wirtschaftskartelle…) Wo diese aufgedeckt wurden, bedurfte es meist längerer intensiver Recherchen und Beweise spielten eine zentrale Rolle. Diese Verschwörungen sind lokal und zeitlich begrenzt. Ferner bringen sie nicht selten unbeabsichtigte Folgen hervor, die von den Verschwörern nicht vorgesehen wurden (z.B. die Ermordung Cäsars, die statt zur Erhaltung der Republik zur Gründung des Römischen Kaiserreiches führte).

Verschwörungstheorien möchten uns hingegen an weltumspannende Verschwörungen glauben lassen, über Jahrzehnte oder noch längere Zeiten hinweg, unter Beteiligung von Hunderten oder Tausenden von Menschen, auch im Verschweigen der „Taten“ – und somit extrem unwahrscheinlich. Ferner wird meist behauptet, dass alles nach dem Plan der Verschwörer abläuft. Beweise sind nicht das Wichtigste, oft reichen Indizien.

Verschwörungsideologen sind “wie auf Schatzsuche”
Der Konspirationsforscher Bernd Harder hat die unterschiedliche Arbeitsweise in ein Bild gefasst: Der Verschwörungsideologe verhält sich „zum professionellen Historiker, Politologen, Journalisten etc. wie der Schatzsucher zum Archäologen.“ (Harder, 2018:16).

Verschwörungstheorien sind sehr verbreitet: Die Mehrheit der Bürger in Europa und in den USA glaubt an eine oder mehrere Verschwörungstheorien. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass Vertreter von Verschwörungstheorien aus allen Lebensbereichen und Bildungsschichten kommen können und dass es keine bedeutsamen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Allerdings treten männliche Verschwörungsgläubige oft unverhohlener und aggressiver auf (COMPACT, 2020:7).

Unterschied religiöser Glaube – Verschwörungstheorie
In der Religion glaube ich an eine un­sichtbare Macht (Gott), die die sichtbaren Ereignisse beeinflusst. Verschwörungs­gläu­bige glauben, dass innerweltliche Akteure, z.B. geheimnisvolle Eliten, die Fäden ziehen. Beide Stränge lassen sich aber auch vermischen (z.B. „Heer Satans / Heer Gottes“ oder aktuell der Patriarch von Moskau, Kyrill I., der den Ukraine-Krieg als metaphysischen Kampf des Guten gegen das Böse bezeichnet).

Wir leben auf demselben Planeten!

Menschen, die Verschwörungstheorien erzählen, leben nicht auf einem anderen Planeten. Und Christen, die Verschwörungstheorien erzählen, glauben an denselben Gott (auch wenn es anders scheint!).

Gefährdung nicht nur beim anderen sehen!
Ein Problem im Umgang miteinander kann sein, dass wir bei Verschwörungstheorien immer nur andere gefährdet sehen und uns selbst zu leicht für immun gegen solche Mechanismen halten. Doch wenn wir ehrlich überlegen: Haben wir nicht auch schon – in der Annahme, Gottes Willen zu tun! – Dinge geistlich falsch eingeschätzt , und haben etwas gesagt oder gemacht, was wir hinterher als verkehrt erkannt und bereut haben? Ich bin überzeugt: Den meisten von uns, wenn wir schon mehr als ein paar Jahre Christen sind und die Aufforderung zur Nachfolge und Heiligung ernst meinen, ist das schon passiert. Und vielleicht kann ja das, was mir damals geholfen hat, umzukehren, auch für andere Situationen hilfreich sein?

Unser aller Erkenntnis ist Stückwerk und wir alle bleiben mit unseren Irrungen und Wirrungen auf Gnade und Vergebung angewiesen! Deswegen sollten wir Andersdenkende, auch wenn sie im Irrtum sind, nicht verurteilen oder verspotten.

„Denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst …“ (Röm.2:1)
„… wer aber sagt `Du Narr´, der ist des höllischen Feuers schuldig.“ (Mt.5:22)

Gleichzeitig bleiben wir aufgerufen, Meinungen und Fakten zu unterscheiden, nach Wahrheit zu suchen und Falschinformationen auch als solche zu benennen.

Anknüpfungspunkte für Verschwörungsvorstellungen
Statistisch am verbreitetsten sind Verschwörungsmythen (z.B. bezüglich Impfungen) unter Menschen mit anthroposophischem oder rechtsradikalem Hintergrund. Evangelikale Christen haben statistisch gesehen keinen höheren Anteil an Verschwörungsgläubigen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Doch gibt es auch im christlichen Glauben Anknüpfungspunkte für solche Gedanken:

  • Wissenschaftsskepsis (z.B. der universitären Theologie gegenüber)
  • Staatsskepsis (die teilweise auf Gegenseitigkeit beruht. Der Erste sei Diener aller)
  • Wirtschaftsskepsis (z.B. gegenüber dem Prinzip der freien Marktwirtschaft)

In einem gesunden Glauben verwurzelt sein
Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt (Joh.17:16). Der Glaube gibt uns eine Perspektive, ein Narrativ, das uns ermöglicht, viele Dinge anders einzuordnen und zu deuten als die meisten anderen Menschen. Und das ist etwas sehr Ähnliches wie das, was Verschwörungsmythen für sich in Anspruch nehmen. Wie können wir da die Grenze zwischen einem gesunden und einem kranken Glauben ziehen?

  • Ich begebe mich als Gläubiger nicht in eine abgeschlossene Welt, die sich mit Kritik von außen nicht mehr ernsthaft auseinandersetzt.
  • Ich benutze meinen Glauben nicht, um mich gegen Fakten abzuschotten (das war schon vor 380 Jahren gegenüber Galileo Galilei fatal).
  • Ich lasse begründete Kritik nicht zu pauschalem Misstrauen werden und baue keine Feindbilder auf.

Hilfen fürs Gespräch

Nachfragen, statt vorschnelle Schlüsse ziehen:
Was sind Deine Überzeugungen in dieser Sache? Wie kommst Du zu dieser Aussage / Überzeugung? Wie bist Du darauf gestoßen und wie hat der Prozess der Meinungsbildung seither ausgesehen?

Verschwörungstheorien sind sehr verschieden. Wir dürfen also dem anderen nicht etwas unterstellen, worin er sich nicht wiederfindet. Und wir können Interesse bekunden an den Inhalten, so dass eine Gesprächsebene offen bleibt.

Es macht einen großen Unterschied, ob jemand erstmalig oder erst seit kurzem in Kontakt mit einer bestimmten Sichtweise gekommen ist oder schon seit längerem feste Überzeugungen entwickelt hat.

Gerade wenn Falschinformationen oder extreme Sichtweisen noch nicht sehr verfestigt sind, lässt sich mit Faktenchecks (Correctiv, Debunking etc.) oft viel erreichen, und die Betroffenen sind u.U. dankbar dafür!

Dabei können wir den Selbstanspruch unseres Gegenübers, ein unabhängiger und kritischer Denker zu sein nutzen, und z.B. nachfragen: „Hast Du das schon mal überprüft? Wer behauptet das und was hat er davon, das zu tun? Was würde dich vom Gegenteil überzeugen?“ Und wir dürfen sagen, wo wir anders denken: „Ich finde das gerade wenig glaubwürdig. Aber mich würde interessieren, wie Du zu dieser Meinung kommst.“

Eine rote Linie im Gespräch ist überschritten,
wenn Aussagen feindselig, rassistisch oder menschenverachtend werden. „Bei aller Dialogbereitschaft gilt es, menschenfeindliche Aussagen stets auch als solche zu benennen.“ (Nocun & Lamberty, 2021:70) z.B.: „Du weißt, dass ich deine Meinung achte, aber solche verallgemeinernden / menschenverachtenden / rassistischen Äußerungen finde ich nicht in Ordnung. Da habe ich eine Grenze, und ich bitte dich, die zu respektieren.“

“Beziehungskredit”
Ist jemand schon tiefer in diese Theoriewelt abgetaucht oder missionarisch überzeugt unterwegs, ist eine Änderung viel schwieriger und langwieriger. Hier braucht es einen „Beziehungskredit“, das heißt eine vom anderen positiv erlebte und ihm wichtige Beziehung, damit man weiterhin hineinsprechen kann und ernst genommen wird. Je näher man der Person steht, desto größeren Einfluss kann man ausüben.

Solche wichtigen Beziehungen sind oft der einzige Anker, der eine Person noch an der „Außenwelt“ hält und durch die es eine Chance zu einem langsamen Herausarbeiten aus dem „Kaninchenbau“ der Verschwörungstheorien gibt. Dann ist es wichtig, den Kontakt nicht ganz abzubrechen!

Wenn ich keinen Beziehungskredit habe, sollte ich mich ehrlich fragen, wie viel Kraft ich für eine Investition habe und welche Perspektive sie hat.

Grenzen der Gesprächsmöglichkeiten
Es kann aber auch in engen Beziehungen eine Situation entstehen, wo sich jemand so verändert, dass ein Gespräch nicht mehr möglich ist.

Manchmal ist es dann das Beste, das Thema auszulassen und positive Anknüpfungspunkte zu suchen. Man darf auch mal einen Schritt zurückgehen und sagen: „Ich muss das jetzt hier nicht gewinnen. Es gibt so viel Anderes, was uns verbindet …“ Man versucht, immer wieder gesunde Impulse hineinzugeben, in der Hoffnung, dass die Person sie für sich weiterverwenden kann. (Nocun & Lamberty, 2021:87) Man setzt sich nicht unter Druck, die Person unbedingt zum Umdenken bewegen zu müssen, aber versucht doch, erste Zweifel zu säen.

Wird der andere jedoch z.B. aggressiv oder gefährdet andere, kann eine zeitweise Trennung der einzig gangbare Weg sein: wenn zum Beispiel eine Gemeindeleitung offen zum Bruch von Gesetzen auffordert oder wenn politische Themen das Evangelium in den Hintergrund drängen oder wenn in einer Familie Hochrisikopersonen sind und ein Familienmitglied sich strikt weigert, elementare Schutzmaßnahmen einzuhalten.

Bei Konflikten im engen Umfeld ist es sinnvoll, sich frühzeitig Informationen und auch Unterstützung zu suchen, z.B. bei den Weltanschauungsbeauftragten der großen Kirchen.

Meine Hoffnung ist:
Wenn wir Liebe und Gnade wirklich erleben (und dazu können wir durch die Art unseres Miteinanders beitragen), wird unser Herz fest. Wir bekommen eine innere Stabilität, die Verschwörungsmythen den Nährboden entzieht.

Hebr.13:9a: „Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehre umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“

Das wir uns immer mehr verwurzeln können in der Gnade und Liebe unseres Herrn, das wünsche ich uns allen!

Friedemann Alsdorf, 23.05.2022

 

Literatur

COMPACT Education Group (2020): Leitfaden Verschwörungstheorien. Herunterzuladen unter https://conspiracytheories.eu/_wpx/wp-content/uploads/2021/01/COMPACT_Guide_German-1.pdf

Harder, Bernd (2018): Verschwörungstheorien: Ursachen, Gefahren, Strategien. Aschaffenburg (Alibri)

Lewandowsky, Stephan & Cook, John (2020): Das Handbuch über Verschwörungsmythen. Herunterzuladen unter http://sks.to/conspiracy

Nocun, Katharina & Lamberty, Pia (2021): True Facts. Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft. Köln (Quadriga)